Sinnfindung und Sinngebung als Heilmittel

Früher galt Krankheit als Strafe der Götter oder Strafe von Geistern. Es galt Buße zu tun, Opfer zu erbringen, um Heilung erfahren zu können. Priester galten als die Vermittler zwischen Göttern oder Geistern und dem Kranken. Von ihnen war zu erfahren, was getan werden musste.
Wir sind heute nicht mehr ohne weiteres bereit zu akzeptieren, dass Krankheit Folge von Verfehlungen und Strafe ist. Trotzdem gilt Alkohol- und Nikotinmissbrauch, falsche Ernährung und Bewegungsmangel als Ursache von vielen Krankheiten. Und offen oder zurückhaltend schwingt dabei oft der Vorwurf mit, eine Mitschuld an den Krankheiten zu haben, die hierdurch ausgelöst werden können.
Nicht selten sind Krankheiten dann auch Anlass zur Änderung des Lebensstils. Nicht selten ist Krankheit und das Erlebnis der Lebensbedrohung durch Krankheit geeignet, eine grundsätzliche Kehrtwende im Leben zu vollziehen. Das Leben gewinnt ja durch schwere Krankheit zwangsläufig eine andere und elementarere Bedeutung.
Dem Leben als solchen, aber auch der Krankheit einen Sinn zu geben, ist nicht nur geeignet, sich mit Krankheit besser abzufinden, besser mit ihr umzugehen. Es ist auch geeignet, Krankheit besser zu bewältigen und wirkt für sich bereits heilend. Für Krankheit gibt es weniger Platz in einem Leben, dessen Sinn ausgerichtet ist auf andere Menschen und nicht sich selbst, auf höhere Ziele als die persönliche, egoistische Bedürfnisbefriedigung. Wenn es gelingt, der Krankheit einen Sinn zu geben, die Krankheit als Zeichen zu nehmen, z.B. kritisch mit seinem bisherigen Leben umzugehen und dies als Anlass zu nehmen, Wesentliches oder Grundsätzliches zu ändern, errichtet man sozusagen über die Brücke einer neuen Lebensperspektive auch die Brücke zu einer positiven Entwicklung oder Beeinflussung der Krankheit. Sinngebung hat heilende Potenz auf gleichzeitig mehreren Ebenen: Auf spiritueller, psychologischer, philosophischer und auch auf biologischer Ebene durch Anregung von Selbstheilungskräften.

Analyse psychogener Krankheitsursachen

Krankheiten - von Verletzungen und Schnupfen über schwerste unheilbare Erkrankungen - haben immer einen psychischen, einen seelischen Anteil, der nicht nur darin besteht, wie mit dieser Krankheit umgegangen wird, wie sie verarbeitet wird. Nein, dieser Anteil hat auch krankheitsauslösende Bedeutung und bestimmt wesentlich Heilung und Heilungsaussichten.
Die Kenntnis psychischer oder seelischer Bedingungen, die vor Ausbruch oder während einer Krankheit bestanden oder bestehen, ist sehr hilfreich für die Beratung und die Entscheidung zur geeigneten Behandlung bzw. der Behandlungsergänzung. Sie hilft insbesondere nicht nur die Symptome zu kurieren, sondern die eigentlichen Ursachen einer Krankheit zu verstehen und zu behandeln. Erfolgreiche Krankheitsbehandlung besteht nicht nur in der Auswahl des richtigen Medikaments oder des geeigneten Operateurs, sondern ist ganz wesentlich vom direkten oder indirekten Umgang mit den seelischen oder psychischen Krankheitsursachen abhängig. Hier ist es nicht immer notwendig, diese Ursachen genau zu analysieren, sie im Detail zu besprechen und ihnen mit aufwändigen psychotherapeutischen Verfahren zu begegnen. Nein, in den meisten Fällen reicht ein erfahrener intuitiver Umgang hiermit, der sich ausdrücken kann in Zuwendung, Verständnis, Einfühlungsvermögen. Meist resultiert der wesentlichste Teil erfolgreicher Behandlung hieraus und weniger aus der Wirksamkeit eines Medikaments oder der technisch perfekten Operation.

Nutzung jahrhundertealter Erfahrungsmedizin

Die traditionelle chinesische Medizin, die Klostermedizin des Mittelalters, auch andere Heilungsmethoden wie das indische Ayurveda oder der Schamanismus der Naturvölker ist einerseits verankert im herrschenden Weltbild, in der herrschenden religiösen oder philosophischen Auffassung, andererseits sind diese Verfahren begründet auf einer langen Kette von Erfahrungswissen, das von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Insofern sind es keine wissenschaftlichen Behandlungsverfahren im heutigen Sinne. Das Erfahrungswissen, das in diesen traditionellen Behandlungsverfahren zur Anwendung kommt, hat aber eine allgemeingültige Bedeutung dann, wenn man sich auch aus einem Kulturkreis wie unserem diesen Methoden offen und bereit zuwendet. Dies ist aber nur möglich, wenn man fähig und bereit ist, sich für diese Denkrichtungen zu öffnen und nicht starr an den herrschenden materialistisch-biomedizinischen Krankheitsverständnis festhält. Eine solche Öffnung fällt besonders den Kranken leicht, für die unsere Schulmedizin keine wirksame Hilfe bereithält oder wo dessen Hilfsangebote versagt haben.
Es ist dabei nicht gerechtfertigt, im Vergleich zur heutigen Medizin diese Methoden als veraltet, kaum wirksam und allenfalls als zur Biomedizin ergänzende Behandlungsform zu betrachten. Ist Kräutermedizin tatsächlich als so viel geringer wirksam als die moderne medikamentöse Therapie einzuschätzen? Doch nur dann, wenn die Prüfung der Wirksamkeit von Kräutern aktuell herrschenden pharmakologischen Prinzipien unterworfen wird. Hier herrscht das Prinzip, dass ein klar definierter, möglichst auch chemisch entschlüsselter Wirkstoff eine eindeutig zuordenbare pharmakologische Wirkung im Körper entfaltet. Hier gilt also eine rein biochemische Betrachtungsweise und eben nicht das über die Biomedizin weit hinausgehende Wechselspiel von therapeutischer Methode, therapeutischer Substanz und individuellen Menschen als Ganzen in seiner Eingebundenheit in soziale und Weltbezüge. Heilung, egal welcher Art, hat nicht nur den Effekt der chemischen oder biologischen Beeinflussung von Körpervorgängen, sondern muss weit darüber hinaus das Ziel der Beeinflussung des Menschen als Ganzes haben, wenn sie wirksam sein soll. Unter diesem Blickwinkel kann die Klostermedizin, auch die Homöopathie oder die traditionelle chinesische Medizin denselben Wert und therapeutischen Nutzen haben wie unsere heutige Biomedizin.

Behandlung von K�rper, Geist und Seele als ganzheitlicher Behandlungsansatz

Die Biomedizin hat vordergründig die Beeinflussung von Stoffwechselvorgängen im Körper oder die Entfernung und Abtötung von vermeintlich krankhaftem Körpergewebe zum Ziel. Sie ist nicht zuletzt deshalb in Teilbereichen erfolgreich, weil im Gefolge der Prozeduren, der geradezu rituellen Abläufe geistige und seelische Beeinflussung stattfindet. Danach wird Wirksamkeit von Behandlungen in der Biomedizin dadurch erreicht, dass Arzt und Patient die Behandlungsprinzipien plausibel sind, dass sie im herrschenden Weltverständnis geradezu als zwingend wirksam erscheinen. Diese Prinzipien laufen für Arzt und Patient unbewusst ab, werden nicht systematisch genutzt.
Dagegen wäre es ausgesprochen hilfreich, diese Aspekte zielgerichtet zu nutzen. Hierdurch würde die Effektivität von Behandlungsmaßnahmen deutlich steigen und auch die Prinzipien von Behandlung und Behandlungsverfahren würden sich zugunsten höherer Wirksamkeit wandeln. Denn Gesundung und Heilung ist nur möglich durch eine wirksame innere Einstellung zum Behandlungsprozess und dessen Erfolgsaussichten. Es geht dabei auch um die Überzeugung, dass die Behandlung erfolgreich sein wird. Es geht um Überzeugung, Optimismus, Vertrauen und Plausibilität der Behandlungsmethode. Für uns ist es heute absolut plausibel, dass bei einem einzelnen Tumor, den es gelingt komplett chirurgisch zu entfernen, Heilung resultiert. Hier kann es mit unserem heutigen Blick auf Ursache und Wirkung und Zusammenhänge keine Zweifel geben. Eine solche Operation ist nicht nur deshalb erfolgreich, weil als krankhaft identifiziertes Gewebe komplett entfernt wurde, sondern deshalb, weil wir davon überzeugt sind, dass das Ergebnis einer solchen Operation Heilung bringen muss. Mehr oder weniger ist dies im gesamten Spektrum der Medizin, heute wie auch früher, von entscheidender Bedeutung. Überzeugung, Glaube, Plausibilität und geeignete positive Verstärkungsmechanismen sind entscheidend. Umgekehrt ist auch mangelnde Plausibilität des Behandlungsverfahrens oder eine unbedachte oder ehrlich gemeinte Äußerung des Arztes, dass man wohl kaum wirksam helfen könne, oder auch unfreundliche und von mangelndem Vertrauen gekennzeichnete Atmosphäre geeignet, Krankheiten zu verstärken oder zur Chronifizierung beizutragen.

Aktivierung von Selbstheilungskr�ften

Was sind Selbstheilungskräfte? Wir wissen noch viel zu wenig darüber. Wir wissen aber, dass es eine große Anzahl von Krankheiten gibt, wahrscheinlich die meisten Krankheiten, die auch ohne jegliche ärztliche Behandlung von selbst heilen. Dies betrifft nicht nur Schnupfen oder eine Schürfwunde. Nein, selbst Bakterieninfektionen und sogar Tumorerkrankungen können von selbst heilen, auch wenn dies hier nicht die Regel, sondern eher die Ausnahme ist. Trotzdem ist davon auszugehen, dass bei jeder Krankheit Selbstheilungskräfte in Gang kommen und wesentlich den Heilungsverlauf mitbestimmen. Handelt es sich hierbei nun um Abwehrvorgänge im Körper, die Bakterien oder Viren töten oder sogar das Wachstum von bösartigen Tumorzellen bremsen? Ja, aber das ist bei weitem nicht alles und es ist auch hier nicht nur ein biologischer Vorgang. Es ist zwar davon auszugehen, dass der menschliche Körper so wie jeder lebende Organismus krankheitsabwehrende Fähigkeiten hat. Die Entwicklung des Lebens machte dies ebenso notwendig wie Essen und Trinken und sich fortzupflanzen. Denn Lebewesen, die hilflos Feinden oder fremden Keimen ausgeliefert waren, hatten keine Überlebenschance.
Aber Lebewesen haben auch Verhaltensweisen und Mechanismen entwickelt, die sozusagen die Selbstheilungskräfte unterstützen und begünstigen. Die einfachste Form dieses Verhaltens ist Schonung, Ruhe oder die gesunden Anteile fördern.
Der Mensch hat dagegen seit seiner Existenz weit darüber hinausgehende gesundheitsfördernde Verhaltensweisen entwickelt. Der Ursprung jeder Behandlung von Krankheiten, jedes Heilungsverfahrens, war und ist wesentlich auf die Unterstützung und Aktivierung von Selbstheilungskräften gerichtet. Nicht der Schamane hat in der Urzeit Heilung herbeigeführt, sondern er war Vermittler zwischen Kranken und Geistern und hat dazu beigetragen, den Kranken in einen Zustand zu versetzen, der es ermöglichte, aus sich heraus die Krankheit zu überwinden. Gleiches gilt unverändert heute. Es ist nicht der Chirurg oder Therapeut, der heilt, sondern er wendet Methoden und Verfahren an, die die Selbstheilung, die Milderung oder Überwindung von Krankheiten unterstützen.
Wesentlicher Bestandteil der Unterstützung von Selbstheilungskräften ist auch die Suggestion, ist die Überzeugung, dass ein bestimmtes Behandlungsverfahren zur Heilung führen kann. Offensichtlich ist es möglich, mit Suggestion bzw. der Überzeugung Selbstheilungskräfte noch stärker zu aktivieren. Diese Erfahrung kennen wir aus der Anwendung von sogenannten Placebos. Ein Medikament, das keinerlei Wirkstoff enthält, wirkt allein durch die Überzeugung, ein wirksames Medikament zu sein. Viele ähnliche Beispiele, unter anderem auch für Scheinoperationen, sind bekannt. Auf der Ebene von biomedizinischen Vorgängen wissen wir sehr wenig darüber, was Selbstheilungskräfte in Gang setzt, begünstigt oder auch hemmt. Auf psychischer Ebene, auf geistig-seelischer Ebene wissen wir einiges darüber. Intuitiv wendet dies jeder erfahrene Arzt an, ohne sich dessen genau bewusst zu sein. Um wie viel wirksamer wäre es, Selbstheilungskräfte ganz bewusst systematisch und gezielt zu unterstützen und vielleicht das Hauptaugenmerk bei der Behandlung darauf zu legen? Auch hier wissen wir, dass Vertrauen, eine ruhige und angenehme Atmosphäre und die Überzeugung von der Wirksamkeit einer Behandlung, aber auch die menschliche Zuwendung und Wärme des Therapeuten Heilung begünstigt, und dies über eine bessere Aktivierung von Selbstheilungskräften. Insofern ist es auch unter diesem Aspekt sehr viel mehr die psychische und seelische Konstellation, die über Heilung und Besserung entscheidet, als ausgefeilte biomedizinische Behandlungsverfahren.