Biologisch orientierte Krankheitskategorisierung
Die heutige Einteilung von Krankheiten orientiert sich an den biologischen und biomedizinisch messbaren und sichtbaren Befunden. Die biologische Abweichung des Körpers oder Teilen von ihm von einer willkürlich festgelegten Norm gilt als krank. Die abweichenden Messergebnisse werden in Krankheitskategorien unterteilt. Da nun diese Messergebnisse eine unendliche Vielfalt haben, so wie die Menschen selbst sich unendlich vielfältig unterscheiden, besteht der Zwang zu immer feingliedrigerer Unterteilung. So kennt die Biomedizin inzwischen 135 verschiedene Kopfschmerzformen.
Ähnliches gilt für die Behandlungen der Krankheiten, denn parallel mit der Aufgliederung in verschiedene Krankheitsformen wird für jede Krankheitsunterkategorie wiederum eine Behandlung kreiert, in der Regel ein oder mehrere Medikamente zugeordnet. Zwangsläufig entsteht hieraus ein stets zunehmend spezialisiertes Expertenwissen. Bereits heute überblicken ausgebildete Fachärzte längst nicht mehr ihr gesamtes Fachgebiet, häufig schon gar nicht mehr das Wissen über eine einzige Krankheit. Unter diesen Bedingungen befassen sich die Ärzte nur noch mit der Krankheit, aber nicht mehr mit dem Kranken. Die ganzheitliche Sichtweise, dass, was den Patienten wirklich quält, was er wirklich wünscht, wird nicht mehr in den Blick genommen.
Apparatemedizin
Um die Feingliedrigkeit der Krankheitsunterteilungen zu bewerkstelligen, benötigt die Medizin einen immensen Apparatepark. So ist schon fast jedes Krankenhaus in Deutschland mit Computertomogramm und Kernspintomogramm ausgestattet. Die Apparate kosten immenses Geld in der Anschaffung und Unterhaltung. Dieses Geld muss von den Beitragzahlern aufgebracht werden. Dies hat dazu geführt, dass komplizierte Apparateuntersuchungen weitaus besser vergütet werden als beispielsweise ein einfaches Gespräch. Dies wiederum löst eine Spirale zu noch mehr Apparaten und immer weniger Gesprächen aus. Die Kosten steigen unverhältnismäßig an und schließlich wird nur noch das gemacht, was Geld bringt. Gespräche, menschliche Zuwendung bleiben auf der Strecke.
Die Apparate erfordern wiederum ein hohes Expertenwissen in der Beherrschung der Technik, aber auch in der Interpretation der Ergebnisse, die sie liefern. Damit verlagert sich die Kompetenz von Ärzten immer mehr auf die Apparatetechnik und weg von ganzheitlicher Sichtweise und Zuwendung zum Patienten.
Apparate produzieren auch technisch bedingte fehlerhafte Befunde. Außerdem zeigen sie sehr häufig Befunde, deren Bedeutung überhaupt nicht klar sind. Dies führt in der Regel zu weiteren und noch komplizierteren Apparateuntersuchungen und schließlich nicht selten zu falschen Diagnosen und Behandlungen.
Statistische Methoden
Die Biomedizin hat die Statistik zu ihrem Evangelium erhoben. Das, was mit statistischen Methoden ermittelt und geprüft wurde, gilt als exakt, objektiv und über jeden Zweifel erhaben. Die Statistik gilt als wichtigstes Hilfsmittel, geradezu als Beweis für die Wissenschaftlichkeit aktueller medizinischer Methoden.
Dabei wird ausgeblendet, dass Statistik niemals die Wahrheit zum Ziel hat, sondern nur das, was man vorher als Wahrheit definiert hat. Statistik kann immer nur Ja-/Nein-Antworten geben und wird damit der unendlichen Vielfalt menschlicher Existenz und Krankheit nicht gerecht. Ja, statistische Ergebnisse sind genauer nachprüfbar und freier von der Irrtumswahrscheinlichkeit des Erfahrungswissens oder gefühlsmäßiger Entscheidungen, aber sie sind bei weitem nicht objektiv und begründen in der Konsequenz keinesfalls medizinische Entscheidungen und Prinzipien als unanfechtbar und über jeden Zweifel erhaben.
Statistik wird zudem gerade in der Medizin allzu oft höchst selektiv eingesetzt und dient leider viel zu oft nicht vorrangig den Patienteninteressen, sondern dem Verkauf von Medikamenten und Medizinprodukten. Die übergroße Mehrzahl statistischer Studien wird deshalb auch von der Pharmaindustrie initiiert und finanziert. So werden statistische Studienergebnisse immer wieder schöngefärbt, wesentliche Teilergebnisse verschwiegen. Oder es verschwinden ganze Studienergebnisse in den Schubladen der Pharmaindustrie dann, wenn wider Erwarten die Ergebnisse anders ausgefallen sind als ursprünglich erwartet.
Ärzte allein sind nicht imstande, statistische Studien kritisch zu beurteilen. Sie werden in der Regel von der Pharmaindustrie oder von Ärzten, deren Reputation von der Anzahl teilgenommener Studien abhängt, nicht selten selektiv oder tendenziell informiert. Die meisten Entscheidungen für oder gegen eine Behandlungsmethode oder ein Medikament gründen sich auf diesen sehr problematischen Informationsstand.
Fragw�rdige Erfolge in der Biomedizin
Tagtäglich lesen und hören wir, dass die Medizin in den letzten hundert Jahren immense Fortschritte gemacht hat. Woran macht sich aber dieser Fortschritt wirklich fest? Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms, die Möglichkeit, mit Bilddarstellung den lebenden menschlichen Körper in mm-Schichtdicke zu zerlegen, den Aktivitätszentren im Gehirn während des Denkens, Fühlens oder Planens zuzuschauen, ist als solches noch kein Fortschritt, der die Heilung oder Überwindung von Krankheiten besser ermöglicht als vor hundert Jahren. Dies ist nur ein technischer Fortschritt. Auch die Behauptung, dass Gentechnik und Embryonenforschung die Heilung bisher unheilbarer Krankheiten voranbringt, ist noch nicht ansatzweise bestätigt. Selbst seriöse Befürworter sprechen hier nur von der denkbaren Möglichkeit.
Also: Was sind die Fortschritte, die den Menschen in seinem Leid, in seiner Krankheit Heilung oder deutliche Besserung bringen konnten, was beispielsweise vor hundert Jahren noch nicht möglich war? Augenscheinlich fallen einem hier als wirklich beeindruckender Fortschritt die Behandlung von Infektionskrankheiten ein. Aber bei genauer Analyse sind es auch hier nicht vorrangig die Erfindung der Antibiotika oder andere medizinische Methoden, die als Hauptursache für das Zurückdrängen der schweren und epidemieartig auftretenden Infektionskrankheiten in Betracht kommen. Es sind vielmehr Hygienemaßnahmen und vorbeugende gesundheitspolitische Maßnahmen, die diesen Fortschritt gebracht haben. Die Entwicklung der Antibiotika ist dagegen für den einzelnen Betroffenen im Krankheitsfall unbestritten sehr hilfreich, aber für die Infektionskrankheiten als Ganzes nicht ohne Gefahr. Denn sie provozieren die Entwicklung resistenter Infektionserreger, wie das Beispiel AIDS zeigt. Aber gerade auch bei AIDS sind es nicht Medikamente, die die Krankheit als Ganzes wieder eindämmen, sondern Hygiene und vorbeugende Maßnahmen. Bei modernen Stoffwechselkrankheiten ist es ähnlich. Die Medizin kann im Einzelfall bei solchen Krankheiten helfen. Die Ursachen für die Entwicklung z.B. der Zuckererkrankung in unserer Gesellschaft ist aber eher ein Problem der modernen Lebensführung und nicht mit medizinischen Maßnahmen oder Medikamenten zu beherrschen.
Ja, jeder Arzt kämpft tagtäglich im ehrlichen Bemühen um die Besserung und Heilung von Krankheiten vielfältigster Art. Dieser Kampf ist nur zu führen in der Überzeugung, das Richtige und Notwendige zu tun. Insofern kann eine allzu skeptische Einschätzung der Fortschritte der Medizin nur heftigen Widerspruch provozieren. Aber die etablierten medizinischen Methoden sind für Ärzte und auch für Patienten überwiegend Selbstverständlichkeit geworden. Sie werden verändert und weiterentwickelt, aber grundsätzlich nicht hinterfragt. Sie haben sich eingefügt in unser Weltbild und Wertesystem.
Wenn die aktuellen Methoden und Behandlungsprinzipien der Medizin kritisch analysiert werden, sind durchaus Zweifel an dem vermeintlich immensen Fortschritt der Medizin berechtigt, insbesondere wenn Krankheit auch in Bezug zu gesellschaftlichen Entwicklungen und Verhältnissen gesehen wird.
Viele führen als entscheidende Errungenschaft der modernen Medizin die zunehmende Lebenserwartung in den Industrieländern an. Aber auch hier gibt es keinerlei Beweise dafür, dass dies medizinischen Fortschritten zu verdanken ist und nicht vielmehr sicherer und bequemerer Lebensumstände.
Kurieren an den Folgen und nicht den Ursachen
Was sind die wahren Ursachen für Krebs, Schlaganfall oder Demenz? Die moderne Biomedizin hat hierauf keine schlüssigen Antworten. Sie hat ein paar vage statistische Anhaltspunkte für Bedingungen, die eine Erkrankung begünstigen können. Aber sie weiß weder etwas über die genaue Ursache noch über die Verursachung der Bedingungen, die die Entwicklung einer Krankheit begünstigen können. Es sind die messbaren und sichtbaren Veränderungen des Körpers bei einer Krankheit, die die moderne Biomedizin als Ursachen der Krankheiten verkennt. Denn hierbei handelt es sich um nichts anderes als um Folgestörungen der Krankheit. Die Sichtbarmachung eines Krebsgeschwürs im Körper, die Zeichen für Untergang von Hirngewebe bei Schlaganfall oder bei Demenz sind ja nichts anderes als die körperlichen Veränderungsvorgänge bei einer Krankheit und insofern deren Folge und nicht deren Ursache. Wenn man aber nichts über die Ursache weiß, kann man durch Behandlung auch nicht die Ursache beeinflussen. Von der Biomedizin werden in der Regel nur die Folgen einer Krankheit behandelt, egal, ob dies in einem sehr frühen oder in einem späteren Stadium stattfindet. Bei Krebserkrankungen geschieht das meist durch Herausschneiden des Tumors oder Bestrahlung und Chemotherapie, bei anderen Erkrankungen häufig durch Medikamente. So wundert es auch nicht, dass manchmal sogar erfreuliche Heilungserfolge resultieren, Patienten aber wenig später an einer ganz anderen schwerwiegenden Erkrankung leiden und unter Umständen daran sterben und nicht an der scheinbar erfolgreich behandelten Krebserkrankung. Statistiken verzeichnen deshalb immer wieder, dass Patienten zwar erfolgreich an einer schwerwiegenden lebensbedrohlichen Erkrankung behandelt wurden, dann aber trotzdem nicht länger leben als unbehandelte Patienten.
Ritueller und suggestiver Anteil in der Biomedizin, Placeboeffekt
Infusionen und Spritzen wirken besser als Tabletten. Ein besonders teures Medikament wirkt besser als ein billiges. Die vom Arzt vorgetragene feste Überzeugung, dass Heilung zu erwarten ist, wirkt besser als Stirnrunzeln und Vermittlung von Unsicherheit. Die Chefarztvisite mit großem Anhang hat therapeutischen Effekt. Ein Scheinmedikament (Placebo) wirkt häufig genauso gut wie ein Medikament mit wirksamen Inhaltsstoffen. Die Beispiele können vielfältig fortgesetzt werden. Es handelt sich hierbei um suggestive oder rituelle Wirkung von echten oder vermeintlichen Maßnahmen. Dieser Anteil von wertvollen und wirksamen Maßnahmen wird den Ärzten weder im Medizinstudium beigebracht noch von ihnen in der späteren ärztlichen Praxis systematisch genutzt. Es gilt in der Biomedizin sogar als verpönt, weil vermeintlich nicht wissenschaftlich. Dabei ist die Annahme gerechtfertigt, dass diese Suggestivmaßnahmen bei vielen Erkrankungen mindestens 50 Prozent der Besserung und Heilung ausmachen, nicht selten sogar weit darüber hinaus. Eine Medizin, die diese Möglichkeiten nicht systematisch nutzt, verschenkt dann aus wissenschaftlichen (besser ideologischen) Gründen ein ganz wesentliches, wahrscheinlich das wichtigste Behandlungsinstrument. Ein Instrument, das in allen nichtbiomedizinischen Systemen systematisch und häufig sehr erfolgreich angewandt wird.
Medizin als Konsumartikel
Die Medizin ist in fast allen Teilbereichen zum Konsumartikel geworden. Hier bestimmt nicht mehr die Frage, was wirklich sinnvoll und zielführend ist, die Auswahl und Entscheidung für bestimmte Untersuchungs- und Behandlungsverfahren. Es wird ein künstlicher Bedarf erzeugt, z.B. dadurch, dass Untersuchungskapazitäten oder Operationskapazitäten ausgelastet werden müssen oder dass Medizingeräte und Medikamente verkauft werden sollen. Auch Patientenwünschen nach bestimmten Untersuchungen oder Behandlungen wird entsprochen, ohne dass es hierfür eine medizinische Rechtfertigung gibt. Wellnessbehandlung, Schönheitsoperation, Kaiserschnittentbindung und Abtreibung, auch ohne Krankheit oder Krankheitsgefahr, gilt häufig ebenso als medizinisch sinnvolle Maßnahme wie eine Tumoroperation. Es wird deshalb eine Fülle von unsinnigen oder fragwürdigen Untersuchungen und Behandlungen durchgeführt, die nicht nur zur immensen finanziellen Belastung des Gesundheitssystems beitragen, sondern auch selbst erhebliche Gesundheitsrisiken provozieren.
Medizin als Reparaturbetrieb
Es macht sich immer mehr in der Gesundheitspolitik eine Mentalität breit, die darin besteht, medizinische Versorgung und medizinische Abläufe ähnlich wie eine Autoreparaturwerkstatt zu organisieren. Ein neues Hüftgelenk kostet einen Festbetrag und benötigt festgelegte Operations-, Behandlungs- und Genesungszeiten mit klar definierten Personaleinsatzzeiten. Zunehmend werden Krankheiten nach diesem Schema abgewickelt. Die Individualität eines Patienten, seine Sorgen, Ängste und Nöte bleiben dabei auf der Strecke. Sie sind im Reparaturschema nicht enthalten. Wenn sie besonders schwerwiegend sind, kommt dann gelegentlich mal ein anderer Reparaturbetrieb, die Psychotherapie oder die Psychiatrie, mit ins Spiel. Den Arzt als Vertrauensperson, der sich Zeit nimmt und zuhört, zu dem der Patient eine Beziehung aufbauen kann, gibt es zunehmend weniger. Die ärztliche Kunst degradiert zum Mediziningenieurwesen. Dass damit Chronifizierung von Krankheiten, verzögerte Heilung, Behandlungskomplikationen und mehr Gesundheitsprobleme geschaffen als gelöst werden, ist nicht bewusst oder wird den ökonomischen Prinzipien geopfert.
Mangel an Sinn und Bedeutung in der modernen Medizin
Warum bin gerade ich von dieser Krankheit betroffen? Was hat meine Krankheit für einen Sinn? Das sind Fragen, mit der die Biomedizin nichts anzufangen weiß. Sie sind nicht wissenschaftlich. Sie sind bestenfalls philosophisch, aber auch spirituell und damit hat eine wissenschaftliche Medizin nichts zu tun. Dies sind aber Fragen, die sich jeder lebensbedrohlich Kranke stellt, selbst Biomediziner. Hierauf keine Antwort zu wissen bedeutet, nur unvollständig helfen zu können. Eine Hilfe, die an den Kern von Hilfe und Heilung nicht herandringt. Krankheit ist nicht nur ein biologischer Vorgang, der sich wiederum auf physikalische oder chemische Gesetze gründet. Krankheit hat etwas mit existenziellen Fragen, mit dem eigenen Selbstverständnis des Patienten, aber auch dem des Arztes, mit dem Eingebundensein des Menschen in der Welt zu tun. Wenn Krankheit nur als Katastrophe, als negativ, mit allen Mitteln zu bekämpfen und abzulehnen gilt, würde man weder dem Kranken selbst noch seinem Umfeld gerecht werden. Jeder lebensbedrohlich und insbesondere unheilbar Kranke sieht die spirituelle Dimension von Krankheit und menschlicher Existenz, auch wenn er zuvor ein überzeugter Materialist war. Dies ist auch die Voraussetzung dafür, dass nicht nur schwerste Krankheiten erduldet werden, sondern auch häufig gemeistert werden. Es ist sogar manchmal die entscheidende Voraussetzung dafür, dass als unheilbar geltende Krankheiten wider Erwarten heilen.